Der Sonntag beim 30. Comedy-Arts
MOERS. Mit einer Newcomerin startete der letzte Tag des Comedy Arts Festivals 2006: Ilka Bessin, die Erfinderin von „Cindy aus Marzahn“ und Gewinnerin des Nachwuchs- und Talentschmiede-Wettbewerbs im Quatsch Comedy Club Berlin und des Hamburger Comedy Pokals, gab sich die Ehre. Als Frau mit Gespür für Farben und Formen hat Cindy nebenbei als Model gearbeitet. Den Einstieg als Topmodel in Heidi Klums Show hat sie nur knapp verpasst, wahrscheinlich ihrer Alzheimer-Bulimie wegen: „Sie wissen gar nicht, wie Scheiße das ist, wenn man den ganzen Tag frisst, und abends vergisst man zu kotzen.“
Cindy und die Männer
Etwas besser lief der Versuch, eine Ich-AG zu gründen: Aufzugfahren im Plattenbau, mit besinnlicher Musik, das komme gut, versicherte die gelernte Fachverkäuferin für Miederwaren. Cindys nächstes Problem sind die Männer: „Man sitzt in der Kneipe beim 14. Hefeweizen, und was kommt und quatscht einen an: Opfer.“ Ob das Opfer Torben heißt oder Jean-Pascal, das Wahre sind sie alle nicht. Denn insgeheim trauert Cindy immer noch ihrer ersten großen Liebe nach: Enrico, der sie immer so liebevoll „Pissnelke“ genannt hat. „Für den hab ich mir vor zehn Monaten das Fett absaugen lassen und warte heut noch drauf, dass die Schwellung zurückgeht.“ Immerhin hat die Powerfrau aus Marzahn noch genügend andere Talente, um richtig berühmt zu werden. So hat sie zum Beispiel eine Girlie-Band gegründet, die Plattenpussis: „We are the girls from the Plattenbau and we are great and that is show.“ Ganz schön frech und mitunter reichlich überzeichnet, diese Show mit der Fast-Food-Königin, die kaum ein Klischee außen vor lässt. Aber Cindy hat das Herz auf dem rechten Fleck, und das macht sie so sympathisch.
Während das Publikum in der voll besetzten Arena noch über Cindys kodderige Sprüche lachte, bahnte sich der nächste Angriff auf die Bauchmuskulatur an: Das Chaostheater Oropax stellte seine neue Show „Molkerei auf der Bounty“ vor. „Was ist die Welt. Seit wann ist die Welt Welt? Wer hat die Welt gewählt? Hat die Welt uns gewählt? War früher wirklich alles besser? Gibt es eine Molkerei auf der Bounty?“ Antworten auf diese und weitere philosophische Fragen fanden die zwei Brüder aus Freiburg zwar nicht, aber wie auch – „in einer Welt, in der man von der Bühne aus Hunderte von Leuten mit Sparkassen-Käppis sehen muss“?!. Früher, erklärte das Chaos-Duo, war gestern. Aber morgen ist gestern schon heute. Und das entschuldigte alles. Mit einem wahren Feuerwerk an Kalauern, einer verrückter als der nächste und oft weit unter die Gürtellinie zielend, bearbeiteten Thomas und Volker das „geschulte Publikum, das weiß, wenn man sich heraushebt, hat man nur Nachteile davon“. Wie zum Beispiel der Zuspätkommer mit Glatze und der kaufmännische Angestellte aus Bielefeld, die tragikomischen Figuren des Abends. „Mein Bruder“, erklärte Volker, „ist nicht so wie wir. Er hat andere Fähigkeiten. Er hat den siebten Sinn, aber nicht die anderen sechs.“
Vielleicht liegt hier die Erklärung für das schier unerschöpfliche Arsenal an Witzen, Blödeleien, Wortspielen und Sinnverdrehungen, die wie Pingpongbälle über die Bühne geschmettert wurden, wo sich Mönch und Spiderman, Rind und Q, Tyrannen und Philosophen im bunten Ringelreihen tummelten. Ob als Stellvertreter des Schicksals und Hebamme oder vielmehr Hebämmerich des Witzes oder als leuchtender Stern am Himmel und Bremsspur in der Unterhose der Geschichte – mit ihrer unglaublichen Spontaneität sorgten die beiden dafür, dass jenseits jeder Comedy-Norm das Lachen nur so durch die Reihen waberte. „Hast Du gerade Scheiße geredet oder mache ich beim Zuhören Rechtschreibfehler?" Diese Frage stellten sich auch die johlenden Zuschauer, die das Chaos-Duo höchst ungern ziehen ließen. Selbst Cindy aus Marzahn rang sich ein Lob ab: „An sich keene schlechte Nummer. Für‘n Garten reichts.“
Moers kochte bei 123 Grad
Nach einem großen Bühnenumbau folgte der „absolute Höhepunkt des Abends“: Soulgott Fred Kellner kam nach „crazy Moers“, und mit ihm die famosen Soul Sisters Anke und Susanne Engelke, die Horny Horny Horns und die Supersonic Silverstrings. Mit 15 „geklonten“ Musikern im weißen Glitzer-Glamour feierte Moers das 30-jährige Bestehen des Festivals. Fetzige Soul- und Funkmusik mit den größten Hits der letzten drei Jahrzehnte – die perfekte Illusion der 70-er Jahre, die Outfits echte Hingucker und die Musik erstklassig. Das Ganze in einer Lautstärke, dass man noch in Schwafheim quasi live dabei sein konnte. Ein „absoluter Höhepunkt des Abends“ jagte den nächsten mit „Deutschlands hotester Tanzband“ und in einer „Stimmung, die seinesgleichen suchte“, wie Fred Kellner enthusiastisch jubelte. Und das mit dem einen Ziel: das Publikum zum Tanzen zu bringen und in crazy Moers eine Temperatur von 100 Grad zu erzeugen. „Das klingt nach Großprotz, ist es aber nicht.“ Und tatsächlich: „the sexy soulman“, oder „the souly sexman“ oder ganz einfach „der wunderbare Fred Kellner“ schaffte es, gemeinsam mit Comedy-Superstar Anke Engelke, die stimmkräftig bewies, dass sie als Soul-Sister stimmlich wesentlich mehr drauf hat, als alberne Witzeleien in Wochenshows zu moderieren: 123 Grad, das absolute Soulwunder, das Wunder von Moers. Unser beschauliches Moers ein Soulhexenkessel - wer hätte das für möglich gehalten? Freds Dank ging an „crazy Werner“.
Auch das Festival-Team nutzte die folgende Umbaupause, um Werner Schrick für sein Engagement in den vergangenen 30 Jahren zu danken. Standing ovations und großer Applaus vom Publikum – sichtlich bewegt verabschiedete der Festivalleiter sich und verschwand rasch hinter dem Vorhang. Zu bereits fortgeschrittener Stunde wurde dann die Geduld der Besucher auf eine harte Probe gestellt. Bei klebrigsüßem US-Pop und kitschigen Weihnachtsliedern warteten alle auf das große Finale: Carl Einar Häckner, den Magier des Verrückten und Unvorhersehbaren, der mit schwarzem Humor und extremer Fingerfertigkeit kuriose Zaubernummern zelebriert. Im Vergleich zu früheren Shows ist der schwedische Entertainer leiser, poetischer geworden. Ganz klassisch, als Musiker im Frack und mit Geigenkasten, stellte er sich vor. Der missglückte Versuch, die Stradivari zu stimmen und mit einem Pressholzmodell von Ikea samt seitenlanger Aufbauanleitung für schnellen Ersatz zu sorgen, sorgte für die ersten herzhaften Lacher im Publikum.
Ein Dankeschön sagte Häckner Deutschland „für die gute Musik, die sie hat gegeben der Welt: Scorpions, Nena.“ Doch er wolle heute lieber Rachmaninow spielen, das erste Klavierkonzert, mit Harmonika. Aber das ist nicht lustig, sondern schwierig. Also doch lieber das zweite, viel einfachere. Oder vielleicht das dritte. Nein, das ist zu einfach. Das vierte ging auch nicht, „weil er hat es nicht geschrieben. Er ist schon tot. Wie die meisten Komponisten hat Rachmaninow die Konzerte geschrieben, bevor er tot war.“ Letztendlich wurde es ein persönliches Stück, mit der quer im Mund steckengebliebenen Mundharmonika – ein Allegro skurrila. Aber Häckner ist nicht nur „ein bisschen interessiert in Musik“, sondern auch ein Zauberer. Als solcher faltete er eine Banana als Bandana und ließ alles Mögliche verschwinden: Löffel, Würfel und zuletzt sogar Simon. Mit der „ekligen Szene Verschwinden Mensch“, die eigentlich weit unter seinem Niveau sei, beendete Carl Einar Häckner das Comedy Arts Festival 2006. Beim Abschied floss viel Bühnenblut – und manche Träne. Vor Lachen, versteht sich.Die Fotos vom Sonntagabend beim Comedy Arts vermitteln einen Eindruck vom wechselvollen Programmbogen. Zum Vergrößern der Fotos einfach draufklicken.