Kolloquium zum 60. Geburtstag von Professor Geuenich
NIEDERRHEIN. Gerade am Niederrhein, das hat nicht allein Hanns Dieter Hüsch immer wieder betont, wird auf Verwandtschaft, Herkunft und Beziehungen sehr viel Wert gelegt. Mit spannenden Berichten aus der niederrheinischen Geschichtswerkstatt zeigten zehn junge Wissenschaftler jetzt, daß dies schon in der Zeit vom frühen Mittelalter bis zur Reformation so war. Anläßlich des 60. Geburtstags von Professor Dieter Geuenich, Mittelalterhistoriker und Experte für Niederrheinforschung, hatten seine Mitarbeiter und Schüler zu einem Kolloquium ins Gerhard-Mercator-Haus nach Duisburg eingeladen. Dort hörten die rund 100 Gäste Fachvorträge zu aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten: „Ein akademischer Blumenstrauß für einen außergewöhnlichen Lehrer“, so Professor Thomas Schilp.
Bereits am Abend zuvor hatte Professor Otto Gerhard Oexle, Direktor des Max-Planck-Institutes für Geschichte in Göttingen, unter der Überschrift „Gedenkkultur des Adels“ von interessanten Verfahren zur Veredelung von Familiengeschichten berichtet. Eine der zentralen Thesen, „Herrschaft braucht Herkunft“, griff Dr. Ingo Runde in seinem Eröffnungsvortrag auf. In seiner Doktorarbeit hatte er sich mit dem obskuren Troja-Mythos beschäftigt, den fränkische Herrscher im 7. und 8. Jahrhundert auf den bei Xanten gefundenen Ruinen aufbauten.
Literarisch-virtuelle Tradition statt historische Fakten
Dr. Runde: „Als die Franken in die Geschichte eintraten, wollten sie sich den Römern gegenüber gleichberechtigt machen.“ Und wenn der römische Geschichtsschreiber Tacitus schon davon berichtet hatte, daß Odysseus die Stadt Asciburgium –heute: Moers-Asberg – gründete, dann lag der Gedanke offenbar nicht mehr fern, daß verstreute Flüchtlinge nach der Zerstörung des sagenhaften Trojas an den Niederrhein kamen und sich im Xantener Raum niederließen. Die Franken jedenfalls fanden die Idee gut, und schon im 7. Jahrhundert schreibt der Chronist Fredegar entsprechendes auf. Dr. Runde: „Der ganze Troja-Mythos basiert nicht auf historischen Fakten, sondern auf einer literarisch-virtuellen Tradition.“
Nahtlos paßten da die Forschungsergebnisse von Heike Hawicks, die sich für ihre Doktorarbeit mit der Entstehung des Ortsnamens Xanten beschäftigt. Sie stellte eine interessante Parallele fest: „Das X im Namen taucht just in der Zeit auf, als Kaiser Otto in Byzanz um eine Braut wirbt.“ Zuvor verzeichnen die Quellen den Ort unter „sanctos super Rhenum“ (Heilige oberhalb des Rheins). Nun schreibt man ihn mit X und verweist damit gleichzeitig auf den sagenhaften Fluß Xantos in der Nähe von Troja und die eigene bedeutende Geschichte.
Sinnstiftende Erinnerung
Der rote Faden der „sinnstiftenden Erinnerung“, der sich durch alle Vorträge zog, zeigte eines ganz deutlich: Zu jeder Zeit lag den Menschen daran, auf eine reiche und bedeutende Geschichte zurückgreifen zu können. Und sie wollten, daß diese auch nach ihrem Tod nicht vergessen wird. Das belegten Einblicke in die Entstehung von Klöstern und Frauengemeinschaften in Gladbach, Elten und Essen ebenso wie der Bericht von Claudia Kircher, die für ihre Dissertation gerade die Zünfte und Bruderschaften im spätmittelalterlichen Kalkar genauer betrachtet. Und das zeigten zuletzt auch die Berichte über die Jerusalemfahrt des Gelderner Herzogs Arnold von Egmond und die Briefsammlung der Mechthild von Geldern.
Zusammen mit weiteren Gastbeiträgen will die Niederrhein-Akademie, deren Gründungsvater Professor Guenich ist, die Fachvorträge des Kolloquiums demnächst in einem Buch veröffentlichen. Die Beiträge des ersten Kolloquiums der Niederrhein-Akademie, das unter Beteiligung von rund 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im August 1999 im Xantener Rathaus stattgefunden hatte, erschienen im Jahr 2000 unter dem Titel „Köln und die Niederrheinlande“. Hartmut Schulz, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Moers, durch deren finanzielle Unterstützung die Drucklegung möglich wurde: „So entfernt die Arbeitswelten von Bankern und Wissenschaftlern oft sein mögen, im Interesse für die Region am unteren Flußlauf des Rheins deckt sich das Engagement der Niederrhein-Akademie mit dem der Sparkasse Moers.“